Mit dem Zelt durch Kasachstan - Teil 1

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30 Tage durch die Wildnis Kasachstans

Aussicht in KasachstanMit einem leichten Ruckeln setzt der Flieger auf der Landebahn auf und das vertraute Gesicht des Düsseldorfer Flughafens taucht vor dem kleinen Flugzeugfenster auf. Keine halbe Stunde später und mein Reisebuddy Manuel und ich stehen wieder zwischen hunderten von Menschen, mit einem großen Rucksack auf dem Rücken und einem leichten Feuergeruch an der Kleidung.

Wir fühlen uns nicht wirklich passend gekleidet und würden am liebsten den nächsten Flieger zurück nach Schweden nehmen, um dieser Situation zu entkommen. In den letzten Jahren hatte ich dort nicht nur meinen Urlaub verbracht, sondern zeitweise dort gelebt. So wunderschön und eindrucksvoll Skandinavien auch ist: Bereits beim Abflug aus Östersund stand für uns fest: Nächstes Jahr wollen wir weiter weg! Aber wohin? Genau diese Frage beschäftigte Manuel und mich auch noch lange nachdem wir den Flughafen und seine Menschenmassen hinter uns gelassen haben.

Natürlich schießen uns sofort die Klassiker wie Neuseeland, Alaska und Kanada durch den Kopf – doch das macht irgendwie jeder, oder? Also, wo könnte es hingehen? Die Lösung wartete schlicht und ergreifend auf Google Maps. Beim Herumscrollen auf der imaginären Erdoberfläche blieb die Maus immer wieder über den Gebirgen von Kasachstan hängen.

Was wusste ich über dieses Land, wie sah es dort aus, was isst man dort, was spricht man dort – keine Ahnung, trotz Geografie LK! Dann bleibt wohl nur eine Möglichkeit: hinfahren! Ein paar Bilder aus der Google Suche reichten, um auch Manuel noch schnell von Kasachstan zu überzeugen und schon waren die Flugtickets gebucht. Als erstes Ziel und Startpunkt haben wir uns am Ende für die ehemalige Landeshauptstadt Almaty entschieden. Nun hieß es nur noch warten, warten und warten, bis es endlich wieder los geht.

Die Anreise nach Almaty

AnreiseEnde Juli war dann endlich die Zeit gekommen und wie immer waren wir hervorragend organisiert – nicht. Wir wollten nach Almaty, wir wollten in die Berge und wir wollten die Kultur vor Ort kennen lernen. Die Anreise hatten wir vorbereitet, der Rest würde sich vor Ort ergeben. Wir wollten uns treiben lassen und schauen was auf uns zukommt.

Gegen neun Uhr am Morgen hob der Flieger nach Moskau Scheremetjewo ab. Nach einer Wartezeit von zehn Stunden ging es weiter nach Almaty. Bereits auf dem Flug dahin ließ sich die endlose Landschaft Kasachstans erahnen, unzählige Quadratkilometer Steppe überflogen wir. Eine gefühlte Ewigkeit war nichts zu sehen, außer der unendlichen Weite der Graslandschaften. Nach gut fünf Stunden Flug erschien endlich Almaty am Horizont.

Eindrucksvolle Gegensätze und unerwartete Grüße aus der Heimat

Eine Stadt, eingerahmt von Bergen und gespickt mit Prachtbauten der modernen Zeit. Beim Verlassen des Flugzeugs erwachte auch die Aufregung, denn für Kasachstan braucht es kein Visum, lediglich eine Migrationskarte. Doch alle Nervosität stellte sich als unbegründet heraus. Wir kritzelten ein paar Deutscher Saft im kasachischen SupermarktInformationen zu unserer Person auf ein kleines Blatt, ließen uns einmal kritisch von einer Dame in Uniform begutachten und schon waren wir im Land.

Nun hatten wir 30 Tage Zeit, den bisher unbekannten Flecken Erde von Google Earth live zu erleben, zu erkunden und die Unwissenheit durch eigene Erfahrungen zu ersetzen. Allerdings waren wir seit mittlerweile 24h unterwegs und wollten erstmal nur noch ankommen. Mit dem Taxi ging es dann direkt vom Flughafen zum Hostel, das wir schon von Moskau aus gebucht hatten.

Der Wetterbericht hatte nicht gelogen: Es war heiß. Richtig heiß. Und dazu kam auch noch der Smog von der Stadt. Eine 20-minütige Taxi-Fahrt durch die Stadt und zahllose Nahtod-Erfahrungen später waren wir froh, als wir wieder in die Mittagshitze fliehen konnten. Wir entledigten uns im Hostel unserer Sachen und machten uns direkt auf den Weg zu einer Erkundungstour durch die Stadt. Dabei fiel uns direkt auf, wie sauber alles ist. Zwar sind manche Bauten noch aus der ehemaligen Sowjetunion und in einem bedauernswerten Zustand, aber die Straßen und Fassaden sind alle sauber, keine Zigaretten oder Kaugummis zieren hier die Bürgersteige. Auch dröhnt in jeder Straße der Lärm von Baumaschinen, denn überall wird ausgebessert oder neugebaut.

Almaty GebäudeDie lebendige, bunte Stadt Almaty hat uns sofort in ihren Bann gezogen. Modernste Wolkenkratzer stehen hier direkt neben brach liegenden Sowjetbauten. Arm und Reich leben Tür an Tür. Almaty zeigte sich als eine Stadt der Gegensätze, die auf ihre ganz eigene Wiese bunt, laut und dabei ansteckend fröhlich ist. Mehrere riesige Parkanlagen bieten den 1,77 Millionen Menschen Erholung vom Alltag.

Auch bei 40 Grad liefen hier rund um die Uhr Rasensprenger und Bewässerungsanlagen, damit die Stadt trotz der Hitze in frischem Grün erblüht. Zahlreiche Bars, Restaurants und Shopping-Center säumten sich an den Wegen und überall spürte man hier die Umbruchsstimmung – vielleicht will Almaty der neuen Hauptstadt Nursultan (ehemals Astana) ein wenig nacheifern.

Der Verkehr ist für diese Länder typisch laut und chaotisch, getreu dem Motto "Wer als letzter bremst, fährt am längsten!" wird Gas gegeben und mit ordentlich Hupen verschaffen sich die Fahrer Gehör. Auch fallen uns die vielen Menschen auf, die hier an den Straßenrändern stehen. Trampen scheint hier was ganz Alltägliches für die Menschen zu sein.

Wer also nicht in den überfüllten und zum Teil sehr maroden Bussen fahren möchte – nicht selten passiert es, dass ein Bus erstmal Pause machen muss, um abzukühlen – der versucht sein Glück eben am Straßenrand. Durch diesen einzigartigen Mix aus moderner Architektur und Wellblechhütten hätten wir jedenfalls stundenlang durch die Stadt laufen können, ohne dass dabei Langeweile aufkommt oder sich ständig die gleichen Straßenzüge und Geschäfte wiederholen. Kurz gesagt: Allein um diese Stadt zu erleben, hat sich unsere Reise bereits gelohnt.

Trotz aller erblühenden Infrastruktur lässt das erste Problem leider nicht lange auf sich warten. Wir finden zwar zahlreiche Shops für Outdoorkram, aber kein einziger führt Spiritus. Auch die Supermärkte können nur mit einer Art Kerosin aufwarten, das furchtbar stinkt und definitiv nicht für unseren Whitebox Stove geeignet ist. Nach viel Fragerei landen wir am Ende doch in einem kleinen Outdoor Store, der überraschend gut sortiert ist und kaufen einen Optimus Crux Lite Gaskocher. Hätten wir das gewusst, hätte ich genau das Modell auch vorab in unserem Bonner Laden kaufen können, aber wenn wir in den nächsten 30 Tagen warmes Essen haben wollten, blieb uns wohl nichts anderes übrig.

Müde und erleichtert, eine Lösung gefunden zu haben, plünderten wir am Ende den Supermarkt am Hostel. Wir waren nun ca. 6000 Kilometer von Zuhause entfernt und der erste Artikel im Supermarkt trug nicht etwa eine kyrillische Aufschrift. Stattdessen leuchtete uns in bunten Lettern „Deutscher Qualitäts Traubensaft!“ an. In den Kühlregalen fanden wir eine beeindruckende Auswahl an Ehrmann Produkten, bei den Backzutaten Dr. Oetker – irgendwie eine verrückte Welt. Daneben gab es auch eine riesige Frischetheke mit einheimischen Spezialitäten. Für umgerechnet zwei Euro kauften wir dort mehr ein, als wir an diesem Abend essen konnten.

Der Start: Raus aus der Stadt, rein in die Steppe!

Big Almaty LakeNach 36 Stunden Aufenthalt in Almaty wurde es schließlich Zeit, auch mal raus zu kommen. Mit einigen Mühen, da die meisten Menschen hier wenig überraschend nur Russisch sprechen, organisierten wir uns mit Händen und Füßen und der Hilfe von Übersetzungsapps ein Taxi und fuhren für 2 € ganze 30 Minuten aus der Stadt raus bis zum bekannten „Big Almaty Lake“. Von hier aus wollten wir zum Eingewöhnen einen 5 Tages Trek durch die Bergwelt in der Grenzregion zu Kirgisistan laufen. Wir merkten schnell, dass die Kasachen ein Outdoor-begeistertes Volk sind und dass sie ebenso wie wir diesen Samstag nutzen wollten, um aus der Stadt zu kommen. Auto an Auto schob sich eine gigantische Kolonne gen Big Almaty Lake.

Dabei schienen die Kasachen jedoch kein Interesse an Regionen zu haben, die mit dem Auto nicht mehr erreichbar sind. Sobald die Weiterfahrt nicht mehr möglich war, schlugen sie ihr Lager auf und veranstalteten ein riesiges Barbecue. Daher mussten wir nur wenige Kilometer laufen, um die Massen hinter uns zu lassen und das erste Mal seit unserer Ankunft ganz in Ruhe die Bergwelten Kasachstans genießen zu können.

Zeltplatz in der WildnisBis zum Horizont erstreckte sich vor uns ein grünes Tal, gesäumt von 4000 Meter hohen Bergen. Die Talsohle war gespickt mit Tannenwäldern, die von einem reißenden Fluss geteilt werden. Ein leichtes Postkarten Feeling steigt da in einem auf. Da wir spät dran waren, brannte die Mittagsonne gnadenlos auf uns ein und pumpte auch den letzten Tropfen Schweiß aus uns heraus.

Nach nur wenig mehr als fünf Kilometern beschlossen wir, es für heute gut sein zu lassen. Direkt an einem kleinen Bach, der sich an einigen Tannen vorbei schlängelte, schlugen wir unser Lager auf. Einen Steinwurf entfernt lagen einige große Felsblöcke, die sich hervorragend zum Bouldern eigneten. So fühlten wir uns trotz der 5 Kilometer gleich nicht mehr ganz so faul. Aber schon nach der ersten Nacht in unserem Hilleberg Kaitum 2 fand unser Ausflug ein schnelleres Ende, als uns lieb war.

Begegnung mit Vater Staat in Mutter Natur

Gemächlich tuckerte ein heruntergekommener Lastwagen heran und hielt direkt vor uns. Sofort sprangen um die zehn voll ausgerüsteten Soldaten heraus und redeten energisch auf uns ein. Erst nach etlichen Minuten schien ihnen klar zu werden, dass wir kein Wort verstanden. Irgendwann warf einer von ihnen „Passport“ in die Runde und wir holten schleunigst unsere Immigration Card und unseren Reisepass aus dem Rucksack. Ihr Gruppenführer verschwand damit im LKW, während wir unter strenger Beobachtung zurückblieben.

Trotz der bereits morgendlich aufkommenden Hitze breitete sich eine unangenehme Kälte in uns aus. Nach einer gefühlten Ewigkeit stieg ihr Anführer mit unseren Pässen wieder aus dem Lastwagen und wir waren erleichtert, als wir sie wieder in den Händen hielten. Er hatte den Versuch, uns mit Russisch zum Gehen zu bewegen, offenbar aufgegeben gab uns nun mit eindeutigen Gesten zu verstehen, dass unsere Tour genau hier endet und wir umkehren sollen. Wir versuchten unsererseits vergeblich, ihn mit der gemalten Karte aus der Touristeninfo von unseren harmlosen Plänen zu überzeugen, aber schließlich blieb uns keine andere Wahl, als den Rückzug anzutreten und wieder nach Almaty zurückzukehren.

Zwar hatten wir vorher davon gehört, dass es immer wieder mal Probleme mit der Polizei an den Eingängen der Nationalparks geben solle, aber eigentlich hatten wir diese längst hinter uns gelassen und daher nicht mit Soldaten und Platzverweisen gerechnet – aber Kasachstan ist eben nicht Schweden. Langsam liefen wir die Schotterpiste zum Almaty Big Lake zurück und genossen noch einmal das idyllische Bergpanorama. Und noch während wir möglichst viel Abstand zwischen uns und die Soldaten brachten, planten wir schon den nächsten Versuch, unseren Trek weiterzuführen. Vielleicht sollten wir die Strecke einfach andersherum laufen? Oder kontrollierte das Militär auch dort?

Der 2. Start: Schlechte Karten, ominöse Riesen und Naturgewalten

Einige Stunden später sind wir wieder im Hostel, wo unser kurzer Ausflug immerhin zur Belustigung der Dame an der Rezeption beiträgt. Schließlich hatten wir erst am Morgen zuvor stolz mit der Ansage verabschiedet, erst in drei Wochen wiederzukommen. Aber so hatten wir wenigstens nochmal die Gelegenheit zu duschen und nach Herzenslust zu schlemmen. Bei einigen kasachischen Bieren diskutierten wir den nächsten Tag und einigten uns darauf, die Tour rückwärts zu laufen – In der Hoffnung, diesmal von militärischen Wegsperren verschont zu bleiben.Zeltplatz auf dem Plateau

Und so saßen wir in der kühlen Dämmerung am nächsten Morgen wieder in einem Taxi, dieses Mal jedoch in Richtung des Shymbulak Ski Resorts. Dort angekommen, schulterten wir direkt die Rucksäcke und begannen unseren Weg mit der Suche nach dem Einstieg zu unserem Trek. Auch wenn wir unter der Woche starteten, wimmelte es hier vor Menschen. Vor allem Russen nutzen Kasachstan offensichtlich gerne als nahe gelegenes Urlaubsland. Eine schmale Schotterpiste führte weg vom Skiresort und weiter in die Berge hinein. Ihr folgten wir und hofften, den Abzweig zum Trek so schnell wie möglich zu finden.

Als sich der Tag dem Ende neigt, zeigte sich jedoch, dass uns die kasachische Berglandschaft weder den Abzweig offenbaren noch uns weiterhin mit Sonnenschein verwöhnen würde. Statt maroder Militärlastwagen nähern sich nun dicke schwarze Wolken, untermalt von bedrohlichem Grummeln in der Ferne. Wir suchten zunehmend verzweifelt nach dem Einstieg. Dort, wo er sich laut der gemalten Karte befinden sollte, erwartete uns jedoch lediglich Geröll und vereinzelt grüne Flecken von dicken Grasbüscheln. Die dunklen Wolken schienen nun auch die Geduld mit uns zu verlieren und machten aus ihrer Warnung nun ernst.

Eine Regenwand aus dicken Tropfen verwandelte die Schotterpiste in Pfade aus Schlamm, zwischen denen kleine Bäche ihren Weg ins Tal fanden. Das Gelände um uns herum war zu allem Überfluss steil, unwegsam und alles andere als ein geeigneter Campground. Laut unserer Karte soll sich weiter oben ein Plateau befinden und mangels Alternativen beschlossen wir, weiter aufzusteigen. Dieses Mal hielt die Karte ihr Versprechen. Oben angekommen sahen wir nicht nur ein riesiges von mehreren Gletscherzungen umrandetes Plateau, sondern entdeckten auch eine Rauchsäule, die hinter einer kleinen Hügelkuppe aufstieg.

Seltsame Gebäude BergplateauAls wir sie umrundeten, tauchten einige kleine Hütten aus dem verregneten Grau auf. Die runden Gebäude waren aus Blech gefertigt und erinnerten stark an überdimensionierte Ölfässer, die irgendein Riese auf die Seite geworfen hat. In den Deckeln waren Türen hineingefräst, an denen wir uns nun vorsichtig bemerkbar machten.

Der Übersetzungsapp sei Dank konnte uns einer der Ölfassbewohner schließlich unseren Weg hin zum Trek beschreiben, jedoch riet er uns im gleichen Atemzug dringend davon ab, in diesem Wetter weiterzuziehen, das sich erfahrungsgemäß noch spürbar verschlechtern würde. Neben diesem seltsamen Ort oder der Aussicht auf eine Wanderung durch das Unwetter erschien am Ende die Übernachtung auf dem Plateau als die sinnvollste und sicherste Alternative.

So verbrachten wir den Rest des Tages damit, Karten zu spielen und dabei dem Wind zu lauschen, wie er mit vollem Einsatz versuchte, unser Zelt in den Himmel zu blasen. Das große Finale ließ sich dabei noch Zeit bis zur Nacht, als wir vom ohrenbetäubenden Krachen einer abgehenden Lawine geweckt wurden.

Unser Zelt stand glücklicherweise weit genug entfernt, doch der wahrlich beeindruckende Lärm lag uns noch lange in den Ohren. Als das Gewitter sich am frühen Nachmittag des nächsten Tages verzogen hatte, packten wir flott zusammen und machten uns auf, um nach all den Startschwierigkeiten nun endlich den Einstieg zu finden.

Kasachstan hatte uns in jedem Fall mit ebenso herausfordernden wie wunderschönen und einzigartigen Erfahrungen willkommen geheißen. Wir hatten schon so eine Ahnung, dass es in den nächsten Tagen nicht einfacher werden würde, aber wie sehr wir damit Recht behalten sollten, wussten wir zu dem Zeitpunkt noch nicht.

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